Blog des Heinrich-Braun-Klinikums
Die Liebe für den afrikanischen Busch
06.12.2024Was einen Chefarzt und einen Mitarbeiter des Haustransportes außerhalb des Heinrich-Braun-Klinikums verbindet.
Mit einem Aufkleber auf der Heckscheibe des Chefarztes fing die gemeinsame Geschichte vor rund zwei Jahren an. Interessiert betrachtete João damals auf dem HBK-Parkplatz den zufällig entdeckten Aufkleber von Kapstadt und fragte sich dabei, wem wohl dieses Auto und somit die Verbundenheit zu seinem Heimatkontinent gehörte. ‚Jonny‘, wie er hier von allen genannt wird, da die korrekte Aussprache seines Namens etwas kompliziert ist, wartete, bis der Halter zum Fahrzeug kam, und sprach ihn direkt an. Es war Dr. med. Alexander D. Boicev, Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am HBK, der sich als Afrika-Fan zu erkennen gab. Nach diesem ersten Aufeinandertreffen folgten weitere Gespräche über den Kontinent, die sich über die Monate zu einem intensiven Austausch, einer Freundschaft und Unterstützung vor Ort entwickelten.
Wie ein angehender Arzt nach Afrika kam
Schon während seines Studiums hatte Alexander Boicev den Wunsch, nach Afrika zu gehen. Er studierte zu dieser Zeit in Jena und wollte das letzte Studienjahr gern auf dem zweitgrößten Kontinent der Erde verbringen. Nur mit einer Reisetasche in der Hand und einem Studienplatz an der Universität Johannesburg und der Universität Durban im Gepäck reiste er 1995 nach Südafrika, ohne zu wissen, was auf ihn zukommen würde. Zu dieser Zeit herrschte nicht nur in Deutschland so kurz nach der DDR-Wende noch Umbruchstimmung – auch Südafrika, ein Jahr nachdem Nelson Mandela als erster schwarzer Präsident des Landes gewählt wurde, war im politischen Umbruch.
Der angehende Mediziner kam bei Bekannten vor Ort unter. Mit einer befreundeten Familie, deren Sohn John im gleichen Alter war, hatte der damals 25-Jährige schnell Kontakt und eine enge Freundschaft geknüpft – die noch bis heute andauert. Alexander Boicev arbeitete in sogenannten Townships, das sind die Armenviertel von Südafrika, absolvierte seine chirurgische Ausbildung in der Notfallambulanz des größten Krankenhauses Afrikas im Chris Hani Baragwanath Hospital in Soweto, später im King Edward Hospital in Durban und reiste viel, wodurch er den Kontinent sowie die Natur und die Tiere intensiv kennen – und lieben lernte.
1996 kehrte Boicev zurück nach Jena und wechselte nach erfolgreich bestandenem Staatsexamen ans Zwickauer Heinrich-Braun-Klinikum, wo er bereits Teile seines Praktischen Jahres absolvierte. Hier arbeitete er in der neu gegründeten Strahlenklinik zunächst als Assistenzarzt, später als Facharzt, Oberarzt und seit 2010 als Chefarzt.
In seiner Freizeit zog es den Afrika-Fan immer wieder in seine zweite Wahlheimat. So erkundet er regelmäßig mit Geländewagen, Zelt und Fotoapparat die südlichen Teile Afrikas – anfangs allein, später mit seiner Frau und im vergangenen Jahr mit seiner damals 6-jährigen Tochter. Immer ein unerlässlicher Stopp auf seinen Reisen: der Besuch bei seiner südafrikanischen Familie und seinem „Bro“ John in Johannesburg. „Uns verbindet nicht nur die erlebnisreiche Zeit während meines letzten Studienjahres in Afrika, auch die Folgejahre waren geprägt von gemeinsamen Unternehmungen, Geburtstagen bis hin zu meiner eigenen Hochzeit 2017, die ich zusammen mit unseren Familien aus Deutschland und Johns Familie in Sambia gefeiert habe“, berichtet Chefarzt Boicev. „Warum immer wieder Afrika? Ich liebe einfach den Kontakt mit den Tieren, die Natur, den Busch. Ob der überraschende Besuch eines Leoparden am Lagerfeuer oder die Flucht vor einem Hippo am Okavango oder einem Elefanten mit unserem Geländewagen auf der Sandpiste – ich könnte unzählige Geschichten erzählen, die ein Leben lang in Erinnerung bleiben werden.“
Warum Jonny von einer Reise nach Mosambik abriet, es für Familie Boicev aber dennoch eine Herzensangelegenheit war
Jonny, der bereits seit vier Jahren im Haustransport des Klinikums tätig ist und sowohl Patienten als auch Material an den verschiedenen HBK-Standorten befördert, tauscht sich regelmäßig mit Dr. med. Boicev über Afrika aus – sei es über weitere mögliche Urlaubsziele auf dem Kontinent, aber auch Projekte und Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort. Jonny war 16 Jahre alt, als er nach Deutschland kam. „All das, was ich jetzt bin und habe, habe ich Deutschland zu verdanken“, erzählt Jonny emotional. Er lebt seit 45 Jahren in Deutschland, hat zunächst eine Ausbildung zum Bauzeichner absolviert und neben Raststätten an den Autobahnen Richtung Berlin auch Häuser im Busch selbst konstruiert. Später erlernte er zusätzlich noch den Beruf des Textilfacharbeiters und Maurers. Immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen war er zuletzt als gelernter Berufskraftfahrer für DHL und VW im Einsatz und lernte so über viele Kilometer Wegstrecken Deutschland noch einmal anders kennen. Trotzdem verschlug es ihn immer wieder in den Osten, wo er auch heute, nur 15 Fahrminuten entfernt von seiner jetzigen Arbeitsstelle im HBK, wohnt. Auch wenn er in den vergangenen Jahren nicht mehr so häufig nach Mosambik reisen konnte wie früher, ist sein Heimatdorf Chidenguele, das rund 800 km östlich von Johannesburg an der Küste von Mosambik liegt, immer in seinem Herzen und in seinen Gedanken.
Als Chefarzt Boicev Jonny davon erzählte, dass sein nächstes Ziel in Afrika Mosambik sein würde, riet er von der Reise ab. Zu gefährlich. Doch der Mediziner wollte diesen weißen Fleck auf seiner persönlichen Reisekarte gern noch füllen und die schöne Küstenlandschaft entlang des Indischen Ozeans mit dem Geländewagen erkunden. Ebenfalls auf der Reiseroute enthalten: ein Stopp in Jonnys Heimatort Chidenguele. Für Dr. med. Boicev war es eine Herzenssache, die dortige Schule zu besuchen – nicht nur, um seiner Tochter auf der sonst schon erlebnisreichen Reise das Schulleben vor Ort zu zeigen, sondern auch, um kleine Geschenke zu übergeben.
Im Sommer dieses Jahres war es dann so weit: Bepackt mit dem üblichen Camping-Equipment landeten dieses Mal noch Fußbälle, Ballpumpen und Holzmalstifte im Reisegepäck von Familie Boicev. Bereits von zu Hause aus vereinbarte der Mediziner mit dem Cousin von Jonny per Messenger-Dienst einen Treffpunkt an einer Tankstelle unweit des Schulortes, von wo aus sie dann gemeinsam zur Schule fuhren. Freudestrahlend und mit Gesang wurde die Familie aus Zwickau von rund 50 Kindern in Empfang genommen. Natürlich kamen die Stifte und besonders die Fußbälle direkt vor Ort zum Einsatz. Auch wenn es nur ein kurzer Zwischenstopp auf der Durchreise war, so war es nicht nur für die junge Tochter eine sehr ergreifende Begegnung, das Schulleben in Afrika einmal so nah mitzuerleben.
Unterstützung für Mosambik
Auch Jonnys Herzensangelegenheit ist es, sich für die Kinderausbildung in seiner Heimat einzusetzen und dafür starkzumachen, dass die Kinder eine Perspektive haben. Deshalb hat er mit weiteren Unterstützern und Freunden im vergangenen Jahr den Verein „Zukunft e. V.“ gegründet. „In der Schule in meinem Heimatdorf werden die Kinder quasi in Schichten unterrichtet, weil das Gebäude und die Räume für die Anzahl der Kinder einfach zu klein ist“, erzählt er. „Zudem mangelt es an den einfachsten Unterrichtsmaterialien – vor allem Schultafeln werden benötigt. Wenn uns jemand dahingehend unterstützen möchte, kann er sich sehr gern bei uns melden und wir koordinieren alles Weitere. Natürlich freuen wir uns auch immer über neue Vereinsmitglieder.“
Und wohin geht die Reise als Nächstes, Herr Chefarzt? „Fürs kommende Jahr ist noch nichts fix geplant. Afrika wird aber traditionsgemäß bei der Urlaubsplanung immer mit eine Rolle spielen. Jedoch kann ich von den diesjährigen Afrika-Erlebnissen noch ein bisschen zehren: Denn neben unseren Mosambik-Erinnerungen vor Ort hatten wir für 8 Wochen noch etwas südafrikanisches Flair bei uns zu Hause. Mein ‚Neffe‘, also der Sohn meines afrikanischen ‚Bruders‘ John, machte im Rahmen seines Orthobionik-Studiums in Göttingen ein Praktikum bei Alippi auf dem HBK-Gelände und wohnte während dieser Zeit bei uns. Neben den sonst typischen gemeinsamen Wanderungen im afrikanischen Busch waren die gemeinsamen Wege durch Zwickau und zum Krankenhaus eine ungewohnte, aber schöne Abwechslung.“