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Wie sich die Corona-Pandemie und der Lockdown auf die Psyche auswirken können.

29.04.2021
Wie wirkt sich der Lockdown auf die Psyche aus?
Wie wirkt sich der Lockdown auf die Psyche aus?
Chefarzt Dr. med. Dr. rer. nat. Horst J. Koch MHBA
Chefarzt Dr. med. Dr. rer. nat. Horst J. Koch MHBA

Ein Gespräch mit Dr. med. Dr. rer. nat. Horst J. Koch MHBA, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychiatrie am Heinrich-Braun-Klinikum

Seit 2. November 2020 befindet sich Deutschland erneut im Lockdown – zum zweiten Mal innerhalb der vergangenen 14 Monate. Vorsichtige Lockerungen sind kurzzeitig erfolgt und wurden wieder zurückgenommen. Inzidenzwerte wurden angepasst und eine Bettenbremse eingeführt. Was macht das mit den Menschen?

Als Folge der Pandemie ist eine allgemeine Verunsicherung zu spüren. "Was ist denn wirklich Phase?", fragen mich viele Patienten. Was passiert bei einem Inzidenzwert von 50, 100, oder 165? Warum dürfen Hotels oder Restaurants nicht öffnen, Fußball und Gottesdienste sind erlaubt? Wie werden diese unterschiedlichen Entscheidungen sachlich begründet? Die Bevölkerung leidet unter dem Lockdown, viele sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Wenn es nicht gelingt, die Bevölkerung mitzunehmen, werden sich Regierende und Regierte immer weiter voneinander entfernen, wird sich die öffentliche Meinung verstärkt in eine diametral entgegengesetzte Richtung entwickeln. Ein Szenario, dass sich niemand wünscht.

Mit welchen Folgen des Lockdowns werden Sie in Ihrer klinischen Tätigkeit konfrontiert?

Welche psychischen Läsionen die Pandemie hinterlassen wird, wird sich in der Zukunft zeigen, wobei nicht immer der ‚Lockdown‘ pauschal verantwortlich ist, auch das per se gefährliche Virus selbst und der Umgang damit spielen eine Rolle. Was meine Kollegen und ich in ihren Praxen für Psychiatrie oder Psychotherapie beobachten, lässt vermuten, dass viele Menschen dauerhaft Schaden davon tragen werden. Die posttraumatische Belastungsstörung oder Anpassungsstörung oder die Verschlechterung anderer psychischen Störungen, insbesondere der Angstsyndrome, sind auf jeden Fall zu erwarten. Wir wissen heute, dass massive psychische Belastungen sich negativ auf unsere immunologische Abwehr und unsere somatische Gesundheit auswirken. Zudem kann eine epigenetische Veränderung ihre Spuren hinterlassen. Solche Beobachtungen haben Wissenschaftler bei Menschen in Krisengebieten, nach Hungersnöten oder Kriegsereignissen belegen können. Die Folgen werden sich möglicherweise nicht nur auf die jetzige Generation beschränken.

Die Belastungen und Einschränkungen des Lockdowns sind in allen Lebensphasen spürbar – wie spiegelt sich das wider?

…für Kinder
Kinder brauchen soziale Kontakte, um zu gedeihen und ihre Potenziale zu entfalten, gemeinsam zu spielen und sich zu bewegen. Kontaktmangel und Isolation sind für sich genommen Risikofaktoren für eine Störung der psychologischen Entwicklung –  unabhängig vom jeweiligen sozialen Umfeld. Als Kinder lernen und wachsen wir am Gegenüber, eignen uns die üblichen Kulturtechniken an, mit denen wir uns im Leben zurechtfinden. In diesem Zusammenhang ist die fortschreitende mediale Sprachlosigkeit, die durch Homeschooling und Isolation gefördert wird, zu beachten. Zu beobachten ist darüber hinaus, dass Eltern mit ihrer Mehrfachbelastung – Beruf, Haushalt, Kindererziehung und ‚Lehrtätigkeit‘ – in vielen Fällen überfordert sind. Das mag für einige Tage oder Wochen vertretbar sein, langfristig nehmen neben den Kindern auch die Erwachsenen Schaden. In der Ambulanz vergeht kein Tag, an dem Eltern über diese Überforderungssituation und den Stress, den die Kinder empfinden, berichten.

…für Jugendliche und junge Erwachsene
Jugendliche und junge Erwachsene stehen am Ende der Schulzeit oder am Beginn ihrer Ausbildung oder ihres Studiums. Sie brauchen Aktivitäten und sozialen Kontakte, wollen gemeinsam etwas erleben, am Wochenende etwas unternehmen, sich austauschen, gemeinsam feiern oder einfach zusammen abhängen. Die junge Generation - unsere Zukunft! – unterscheidet sich in diesem Streben nicht von früheren Generationen, auch wenn sich die medialen Gestaltungsmöglichkeiten erheblich erweitert haben. Der Mangel an persönlicher Begegnung wird durch die soziale Isolation gefördert und ist auf Dauer keinesfalls wünschenswert. Sie müssen – unvorbereitet – lernen, ihren beruflichen Einstieg ohne Austausch mit Gleichaltrigen zu bewältigen. Initiationsriten, wie zum Beispiel Einschulung, Konfirmation oder Jugendweihe gehören zu einem normalen Leben dazu und schaffen Erinnerungen; es bleibt eine dauerhafte, nicht selten schmerzliche Lücke. Ganz zu schweigen von jungen Leuten, die einen gemeinsamen Lebensweg beginnen möchten, ohne Freunde, ohne Feier. Sehr problematisch wird es, wenn sie ihre geplante Ausbildung nicht antreten können; da macht sich schon ein Gefühl der Hilflosigkeit breit, welches der Eine oder Andere auf sich im Sinne persönlichen Versagens bezieht. Nicht zu vergessen ist, dass diese Generation der jungen Erwachsenen die Hauptlast der monetären Schulden, die wir heute machen, zu tragen hat.

…die Berufstätigen
Die Generation der Berufstätigen mag vielleicht, sofern keine Mehrfachbelastung vorliegt, mit der sozialen Isolation am besten umgehen können, da sich die Einschränkungen in Grenzen halten. Dennoch fehlen auch ihnen die üblichen sozialen Kontakte, kulturellen Aktivitäten und Freundschaften. Nicht jeder verkraftet es gleich gut, wenn der Urlaub mehrmals verschoben wird und dann ganz ausfällt. Problematisch kann es werden, wenn bei Beschwerden der Gang zum Arzt wegen Angst oder Verunsicherung vor einer Corona-Infektion verzögert wird.

…die Senioren
Eine extrem vulnerable Bevölkerungsgruppe sind unsere älteren Mitbürger, insbesondere dann, wenn ihnen ein tragfähiges soziales Umfeld fehlt. Die verordnete Isolation ist mit Sicherheit der psychischen Gesundheit abträglich. Ganz zu schweigen von denjenigen, die seelisch oder somatisch krank sind und vielleicht auf ihr Leben zurückblicken oder an der Schwelle des Todes stehen. Sich nicht verabschieden zu können, nicht gemeinsam die letzten Tage zu verbringen, ist sicher eine der schwierigsten Momente im Leben der Betroffenen und deren Angehörigen. Auch solches persönlich erfahrene Leid ist regelmäßiger Gegenstand meiner Gespräche in der Institutsambulanz. Meine Hochachtung gilt in diesem Zusammenhang vielen engagierten Mitarbeitern in den Einrichtungen oder Kliniken, die alles tun, um auch in schwierigen Situationen die Menschenwürde zu wahren.

Welche Tipps können Sie geben, um gut durch den Lockdown zu kommen?

Versuchen Sie, soweit es zu realisieren ist, die Tages- und Nachtstruktur aufrecht zu erhalten. Wenn Sie nicht zur Arbeit gehen, machen Sie einen Plan. Bleiben Sie aktiv, sei es mit Bewegung oder Aktivitäten, pflegen Sie ihre Hobbys. Ernähren Sie sich gesund, vermeiden Sie Essen als Ersatzlösung, vielleicht kochen Sie selbst gerne? Halten Sie Kontakt zu Ihren Freunden und Bekannten – per Telefon oder Videokonferenz. Machen Sie sich täglich eine kleine Freude. Überlegen Sie, für wen und für was sie dankbar sein können. Aber wir sind nicht perfekt. Sie dürfen auch mal schlechte Laune haben und billigen Sie Gleiches auch anderen zu. Lassen Sie sich nicht durch negative Nachrichten und Meldungen ‚fesseln‘, informieren Sie sich zu von Ihnen festgelegten Zeiten.

Die mediale Berichterstattung kann sich demnach auf das individuelle Befinden auswirken?

Die Rolle der Medien ist durchaus kritisch zu sehen, da sie Tag aus Tag ein, auch sensible Menschen mit negativen Informationen berieseln. Eine objektive Darstellung, zum Beispiel im Hinblick auf die Impfungen, wäre nachhaltiger, als das Suchen vermeintlicher ‚schlimmer‘ Nebenwirkungen. Sachliche Aufklärung sollte immer vor Panikmache stehen. Risiken werden mit dem Vergrößerungsglas gesehen, die Chancen nicht ausreichend erläutert. In ein und der derselben Sendung wird sich über den Lockdown der Gaststätten, und eine Minute später über die Öffnung der Kitas und Schulen beschwert? Das lässt den Zuschauer mitunter ratlos zurück. Versuchen Sie, einer negativen Denkspirale entgegenzuwirken. Beschäftigen Sie sich nur alle drei Tage mit Medienberichterstattung zur Pandemie, es wird sich zwischenzeitlich wahrscheinlich substanziell nichts ändern. Wenn Sie sich informieren wollen, sprechen Sie mit Fachleuten oder suchen Sie Websites von professionellen Beratungsstellen auf.

Welchen Beitrag kann jeder Einzelne leisten, um zurück zur ‚Normalität‘ zu gelangen?

Alle Hygienemaßnahmen, alle Verhaltensmaßnahmen sind auf jeden Fall indiziert und ich bitte alle Leser, sich an die Schutzmaßnahmen zu halten und sich impfen zu lassen, um die Pandemie einzudämmen. Jeder Geimpfte – egal welcher Impfstoff – trägt zu Abflachung der Kurve bei! Nur wenn wir alle gemeinsam dieses Ziel im Blick behalten, können wir auch unseren Beitrag für die psychische Gesundheit unserer Bevölkerung, insbesondere die Gesundheit unsere Kinder und älteren Mitbürger, leisten. Freiheiten bedeuten auch immer eine Portion Verantwortung.
 


Ansprechpartner

HBK-Unternehmenskommunikation, Tel. 0375 51-2470


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